Allgemein: Motivation und Anreizsysteme
Motivation
„Motivation“ leitet sich aus dem Lateinischen (motus – Bewegung) ab und wird übersetzt mit „Beweggrün- de, die das Handeln eines Menschen bestimmen“.
Motivation kann keinem gelehrt werden. Motivation ist nur dann möglich, wenn Bedingungen für eine Person geschaffen werden, damit diese ihre Ziele erreichen und ihre Wünsche erfüllen kann. Was kann man also tun, damit Lehrlinge Bedingungen vorfinden, die sie sich wünschen? Was braucht der Lehrling überhaupt, damit er motiviert ist?
Bei allen Überlegungen und Erfahrungen haben Jugendliche oft keine Perspektiven bzw. Ziele. Wenn es also gelingt, den Lehrlingen Ziele aufzuzeigen, die für sie erstrebenswert sind, dann ist schon ein wichtiger Schritt getan.
Beachten Sie dabei, dass viele Jugendliche nicht mehr aus reinen Geldgründen arbeiten müssen. Die finanziellen Grundbedürfnisse werden oft durch das Elternhaus in ausreichendem Maß erfüllt. Jugendliche suchen in ihrer Tätigkeit nach einem Sinn, der neben der reinen Leistung an sich auch im Umfeld liegen kann. So gibt es auf der Videoplattform whatchado eine inzwischen legendäre Aussage eines Wiener U-Bahn- Fahrers, der den Sinn in seiner Tätigkeit darin sieht, dass er „die Stadt bewegt“. Unternehmen, die sich sozial engagieren, können dieses Engagement ebenfalls gut für die Motivation von Jugendlichen einsetzen.
Warum Ziele?
„Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg!“ (Laotse)
Wichtig ist, dass die Ziele in der Lehrlingsausbildung zur Lebenswelt von Jugendlichen passen. Die Ziele sollten nicht zu weit in der Zukunft liegen und realistisch zur jeweiligen Situation passen. Einem Lehrling, der gerade begonnen hat, weil er die letzte Pflichtschule mit einem sehr schlechten Zeugnis verlassen musste, zu erzählen, dass er Vorstand werden kann, wäre unrealistisch und hätte keinen Motivationsfaktor.
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Ziele wirken wie Wegweiser.
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Die Macht des Unterbewussten: Wenn man sich ein neues Fahrrad kaufen will, sieht man plötzlich überall Fahrräder. Fahrräder bekommen eine Bedeutung. Das Unterbewusste arbeitet mit dem Be- wussten zusammen.
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Wichtig: Der Glaube an die Zielerreichung!
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Und wenn es beim ersten Mal nicht klappt – analysieren, warum es nicht funktioniert hat, und von Neuem beginnen. (Wie haben wir Laufen gelernt?)
Achten Sie darauf, dass Sie Ziele mit dem Lehrling zusammen SMART formulieren.
S = Spezifisch – Ziele müssen eindeutig definiert sein.
M = Messbar – Ziele müssen messbar sein (wer, was, wann, wie viel, wie oft).
A = Angemessen – Ziele müssen erreichbar sein (Ressourcen).
R = Relevant – Ziele müssen bedeutsam sein (Mehr- wert).
T = Terminiert – Ziele müssen zu einem konkreten Termin erreicht werden.
Zielsetzungs-Checkliste:
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Ziele werden nach einer Eingewöhnungsphase gemeinsam mit dem Lehrling erarbeitet.
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Seine persönlichen Neigungen, Interessen und Stärken werden erfragt und berücksichtigt.
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Der Lehrling äußert seine Vorstellung von seinen Zielen und begründet diese.
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Der Ausbilder erklärt dem Lehrling, worin er selbst die möglichen Zielsetzungen sieht, und begründet seine Ansicht.
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Ziele werden mit einfachen Worten dargestellt, damit sie verstanden werden können.
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Teilziele werden vereinbart.
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Am meisten motivieren Ziele, die herausfordern, aber nicht überfordern.
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Gemeinsam werden die Übereinstimmungen und Abweichungen besprochen.
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Die Übereinstimmungen werden sofort festgehalten, die Abweichungen werden näher betrachtet:
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Welche der vom Ausbilder genannten möglichen Zielsetzungen sind vorstellbar, welch hat der Lehrling möglicherweise übersehen?
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Mit welchen Zielen kann er sich aus welchen Gründen nicht einverstanden erklären? Worin liegen die Hindernisse?
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Was müsste bei diesen Zielsetzungen passieren, damit sie akzeptabel werden? Welche Veränderungen sind realistisch?
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Welchen Nutzen könnte der Lehrling hinsichtlich der eigenen Entwicklung aus der Zielerreichung ziehen, wenn er sich diesen Herausforderungen stellt?
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Die Zielsetzungen, die sich daraus ergeben, sollten schriftlich, z.B. in der Zielvereinbarung, festgehalten werden.
Auch mit perfekten Zielen kann es ein wenig dauern, bis Lehrlinge anfangen, diese erreichen zu wollen oder zu können. Oft wundert man sich, warum junge Menschen, die gerade in einem Betrieb angefangen haben, keine Lust haben, ihren Aufgaben nachzukommen. Doch wenn man zu Hause nie motivierte Vorbilder erlebt hat, kein Familienmitglied ein Ziel verfolgt, kann sich das schnell auf einen selbst übertragen. Dies kann sich in einem gut funktionierenden Betrieb verändern, denn alle Mitarbeiter nehmen eine Vorbildfunktion ein.
Achtung!
Nicht nur der Ausbilder hat es in der Hand, motivierend oder demotivierend zu sein, die ganze Firma wirkt auf den Lehrling!
Tipps für den Chef:
Ein Drei-Minuten-Gespräch einmal in der Woche oder gerne auch täglich, in dem er nach Neuigkeiten oder Problemen fragt und zeigt, dass er weiß, worum es in der Ausbildung geht, vermittelt dem Lehrling: „Mein Chef hat Interesse an meiner Ausbildung. Ich bin keine billige Arbeitskraft.“
Tipps für den allgemeinen Umgang in der Firma:
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Am wichtigsten ist heutzutage ein wertschätzender Umgang der Mitarbeiter untereinander, auch mit den Lehrlingen. Grüßen Sie die Jugendlichen demonstrativ! Sie haben ihre Kommunikation auf SMS-Abkürzungen reduziert, man muss sie aus der Reserve locken und ihnen viele für die übrigen Mitarbeiter selbstverständliche Verhaltensregeln und Sozialkompetenzen (siehe dazu Kapitel 7.4.3) erst beibringen.
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Ein „Danke“, gegenseitige Hilfestellungen und auch das wertschätzende Reden über Mitarbeiter, die gerade nicht anwesend sind, werten den Betrieb auf und signalisieren: „Der Betrieb nimmt nur die Besten!“
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Auch Aufnahmeverfahren gemeinsam mit der Geschäftsleitung haben sich bewährt. Schließlich muss eine Ausbildung, für die ich etwas investiert habe, um sie zu erhalten, etwas Besonderes sein.
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Setzen Sie Grenzen: konstante und allgemeingültige Regeln, die am ersten Tag eingeführt werden. Sie geben Sicherheit und ersparen Ihnen viele Diskussionen über Fairness.
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Stellen Sie den Beruf positiv dar. Vermitteln Sie, warum Ihnen Ihr Beruf Spaß macht. Die Sichtweise macht es aus, z.B.: Durch Arbeitszeiten am Abend oder Wochenende kann man an den freien Tagen unter der Woche viel entspannter shoppen gehen.
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Fördern Sie die Zusammenarbeit in Teams oder mit unterschiedlichen Mitarbeitern. Persönliche Bekanntschaften binden an den Betrieb.
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Nutzen Sie vorhandene Kompetenzen, z.B. Affinität zur Elektronik oder IT. Dies zeigt Wertschätzung und Anerkennung.
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Beziehen Sie die Ideen der Lehrlinge, z.B. für eine attraktive Arbeitsplatzgestaltung, mit ein.
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Geben Sie relevante Informationen frühzeitig weiter. Dann wissen die Lehrlinge, was auf sie zukommt, und fühlen sich eingebunden.
Tipps für den Ausbilder:
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Kommunizieren Sie definierte Ausbildungs- und Karrierepläne, damit die Lehrlinge wissen, was auf sie zukommt und was von ihnen erwartet wird.
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Vereinbaren Sie mit dem Lehrling zusammen in diesem Rahmen Ziele.
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Werden Sie zum Mentor, an den sich der Lehrling bei Problemen wenden kann.
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Äußern Sie Lob und Anerkennung für gute Leistung, Kritik und Verbesserungsvorschläge für Fehler.
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Erzählen Sie von Mitarbeitern, die selbst mit einer Lehre begonnen haben, oder lassen Sie diese Mitarbeiter selbst ihre Erfahrungen teilen.
Doch wo können Sie ansetzen?
Als Ausbilder beginnen Sie gleich …
bei den Lerninhalten:
Geben Sie Ihren Lehrlingen die Möglichkeit, Schwerpunkte im Stoff selbstbestimmt zu wählen.
bei Materialien und Medien:
Eine ästhetische, originelle, humorvolle oder auch provokative Gestaltung weckt Neugier und steigert die Freude an der Auseinandersetzung.
bei Lernaktivitäten:
Lernende sind „ganz bei der Sache“, wenn sie aktiv involviert sind, spielerisch etwas ausprobieren oder selbst kreieren können, an einer konkreten Problemlösung arbeiten oder miteinander diskutieren. Der Ausbilder gibt ihnen die einzelnen Lernschritte nicht vor: Die Lehrlinge haben mehr Spaß daran, sie selbst zu erarbeiten.
in der Lernumgebung:
Diese sollte angenehm und positiv erlebt werden. Ein Kfz-Lehrling, der bei –10 Grad immer neben dem offenen Tor der Werkstätte arbeiten muss, wird weniger Freude haben als ein Banklehrling im warmen Büro.
Die spontane Rückmeldung des Ausbilders in der Situation hat großen Einfluss auf die Motivation des Lehrlings, da sie die Aufmerksamkeit und somit die Wertschätzung des Ausbilders zeigt. Daher ist es wichtig, sie von strukturiertem Feedback abzugrenzen und sich der Wirkung bewusst zu werden.
Spontanes Feedback
Spontanes Feedback erfolgt kurz nach der konkreten Situation und wird zum Teil unterbewusst durch Körpersprache, Mimik, Gestik oder Tonfall wiedergegeben. Lehrlinge reagieren gerade auf diese unbewussten Reaktionen sehr empfindlich und interpretieren sie als allgemeine Wertschätzung des Erwachsenen dem Lehrling gegenüber. Sich dieser unbewussten Reaktionen bewusst zu werden, ist der erste Schritt. Sie zu ändern, kann ein langwieriger Prozess sein. Sie können durch verbales spontanes Feedback die spontanen Reaktionen entschärfen:
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Im Vordergrund stehen die Eigenschaften und Stärken des Lehrlings, die geschätzt werden und die es gilt, weiterzuentwickeln.
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Beschreiben Sie exakt, was Sie selbst wahrgenommen haben, was davon positiv und was davon negativ war. Gehen Sie nicht auf Gehörtes ein – das können Sie für das nächste längere Feedbackgespräch aufheben.
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Geben Sie das Feedback sofort. In einigen Situationen ist Durchatmen angebracht.
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Reagieren Sie angemessen. Lob wird nicht ernst genommen, wenn es als übertrieben empfunden wird. Unangemessene Kritik verletzt und kann jegliche Motivation zerstören.
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Gehen Sie beim Feedback von den zuvor gezeigten Leistungen aus.
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Sprechen Sie in einem kameradschaftlichen Ton.
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Bewerten Sie nicht die gesamte Person, sondern nur die Leistung.
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Beschreiben Sie Ihre Beobachtung als Ich-Botschaft und sagen Sie dem Lehrling, was Sie von ihm erwarten.
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Lob:
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Das zu lobende Verhalten darf nicht banal oder selbstverständlich sein.
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Schreiben Sie das positive Verhalten den Fähigkeiten und dem Bemühen des Lehrlings zu.
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Drücken Sie Ihre Wertschätzung aus und danken Sie dem Lehrling.
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Kritik kann, wenn sie verhaltensbezogen, konkret und lösungssuchend geäußert wird, die Loyalität und die Motivation stärken.
Auszug aus dem Werk "Lehrlingsausbildung in der Praxis" herausgegeben von Robert Frasch.
Robert Frasch
… ist Gründer des Ausbildernetzwerks lehrlingspower.at und Herausgeber des Handbuchs „Lehrlingsausbildung in der Praxis“. Er vernetzt Ausbilder, Betriebe und Experten auf nationaler und internationaler Ebene. Als begeisterter Redner ist er auf den Bühnen Europas die „Stimme für die duale Berufsausbildung“. Mit seinen Auftritten macht er Betrieben, Politikern, Medien und der Öffentlichkeit Lust auf Ausbildung.